Dr. Volker Buddrus

 

 

Exerzitien als Weg ins Sein

 

Exerzitien ist die Bezeichnung für eine bestimmte Übungsform, die in vielen spirituellen Richtungen und Religionen angewandt wird.

 

Exerzitien sind zeitmäßig und inhaltlich festgelegte Tätigkeiten, bei denen nur die Tätigkeit ausgeübt werden soll. Deutlich ist dies in der buddhistischen Tradition wenn gefordert wird: Wenn ich esse, esse ich, wenn ich gehe, gehe ich, wenn ich … Ein „Arbeitsessen“ westlicher Tradition ist dann kein Exerzitium.

 

Die ausschließliche Hinwendung zur erwählten Tätigkeit fordert eine hohe Bewusstheit und Achtsamkeit. Im Bewusstsein soll nichts anderes Platz haben als die Tätigkeit. Keine Gedanken, Erinnerungen, Pläne, Phantasien, Bewertungen, also keine Elemente der Persönlichkeitsstruktur. Diese wird für den Zeitraum der Exerzitien „ausgesperrt“.

 

Stattdessen werden die mit der Tätigkeit verbunden gegenwärtigen Sinneseindrücke wahrgenommen, also beim Essen Geschmacksnuancen, Tastbewegungen, Schluck- und Kaubewegungen sowie das, was durch die Versenkung in die Tätigkeit leichter entsteht: das Spüren von Sein. Denn Sein taucht bei der Konzentration auf Gegenwärtiges leichter auf.

 

Damit sind Exerzitien direkte Wege ins Sein. Anstatt mich in meine Persönlichkeitsstruktur zu versenken versenke ich mich in die Gegenwärtigkeit der Tätigkeit.

 

Soweit das Prinzip.

 

Exerzitien sind Übungen insoweit, als für viele Menschen die Bewusstseinskapazität für das Verbleiben in der Tätigkeit nicht ausreicht. Die Seele, das Organ der Bewusstheit, ist nicht weit genug entwickelt, der Muskel der Gegenwärtigkeit nicht ausreichend trainiert. Daher muss geübt werden. Es ist hilfreich, sich die Übung als Vorder- und Hintergrund vorzustellen. Im Vordergrund sind die Absicht und die Konzentration auf die Tätigkeit. Im Hintergrund „rumort“ die Persönlichkeitsstruktur und „heischt“ nach Aufmerksamkeit. Also wird die Tätigkeit von Gedanken, Erinnerungen, Phantasien usw. durchdrungen. Wenn ich nicht aufpasse geht’s wie beim Autofahren. Ich habe im Vordergrund eine Auseinandersetzung mit meinen persönlichen Dramen und überlasse dem Hintergrund das Autofahren.

Thich Nhat Tanh spricht davon, dass wir dann „zerstreut“ sind.

 

Du kannst jede Tätigkeit als Exerzitium auswählen. Solange die Tätigkeit für Dich neu ist, ist die Konzentration leichter. Wenn Du die motorischen und sinnlichen Anforderungen der Tätigkeit verinnerlicht, also gelernt hast, dann wird die Übung schwerer.

 

Im Zusammenhang mit dem Seminar „Rückwege ins Sein“ benutzen wir Exerzitien zum Training des Muskels der Bewusstheit. Die sich oft einstellende Seinserfahrung ist dann ein gern erfahrenes zusätzliches Geschenk.

 

 

Zurück zur Übersicht

 

 

© Dr. Volker Buddrus