Dr. Volker Buddrus

 

 

Übung: Die narzisstische Wunde

 

 

Die beim kleinen Kind noch vorhandene und von ihm erlebte Einheit mit sich selbst, die Seinsidentität, wird durch vielfältige Einflüsse bedroht. Für die meisten Kinder in unserer Kultur kommt die zunehmende Zerstörung dieser Einheit, dieser Verbindung mit dem Sein, durch mangelhafte Spiegelung durch Bezugspersonen oder durch Umweltereignisse zustande. Zumeist jedoch wird das Kind wird „gebrochen“, zugerichtet auf die Erfordernisse der Ersatzidentitäten seiner Bezugspersonen.

 

Diese Zerstörung des Seinsbezuges ist für das Kind unfassbar und sehr schmerzhaft. Es reagiert zunächst mit narzisstischem Toben. Wenn die vorhergehende Verbindung mit dem Sein nicht aufrechterhalten werden kann, entsteht die narzisstische Wunde. Das Kind reagiert darauf, indem es die vorherige Erfahrung der Verbundenheit und Einheit abspaltet und eine Ersatzidentität aufbaut. Im Prozess der Abspaltung wird die Verbindung zum bisherigen Erleben gekappt. Anstelle des vorherigen Erlebens tritt oft die Wahrnehmung einer Leere oder einer Bewusstseinstrübung, einer psychologischen Nebelwand. Die Wahrnehmung dieser Leere ist oft mit intensiven Gefühlen der Angst vor Auflösung, von Schrecken und Todesangst verbunden.

 

Daher ist ein sicherer Kontext für das Einlassen auf diese Prozesse erforderlich.

 

Die gesamte Verarbeitung narzisstischer Kränkungen durch Abspaltung ist jedoch kein bewusster Prozess. Und es ist nicht nur ein Prozess, sondernd die Verbindung von vielen einzelnen Prozessen der Abspaltung vom Sein. Deshalb muss der Entstehungsweg der jeweiligen narzisstischen Wunde zurückverfolgt werden, um wieder in Kontakt mit dem ursprünglichen Seinszustand zu kommen.

 

 

Die Annäherung an die Wunde

Jeder Prozess ist anders, doch folgende Schritte kommen oft vor.

 

·         Du kommst in Kontakt mit einem Problem und entscheidest Dich, es zu erkunden.

·         Du folgst dem Entstehungsprozess, soweit Du Dich erinnern kannst.

·         Du lässt die entstehenden Gefühle zu, ohne etwas zu tun.

·         Du folgst dem Prozess dessen, was sich in Dir entwickelt mit liebevollem Interesse.

·         Du verstehst und akzeptierst, wie Du früher auf eine narzisstische Kränkung reagiertest.

·         Du lässt die Wahrnehmung von Leere, Raum, Auflösung mitsamt allen begleitenden Gefühlen zu und akzeptierst, dass diese zum Prozess gehören.

·         Du folgst allen Veränderungen während des Prozesses und verzichtest auf die Lenkung des Prozesses in eine bestimmte Richtung.

·         Du lässt auch entstehende Seinszustände zu, ohne daran zu verhaften.

 

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© Dr. Volker Buddrus