Dr. Volker Buddrus

 

 

Übung: Seinszeugnis abgeben

 

 

Der Zugang zum Sein wird für Kinder durch mehrere Gegebenheiten eingeschränkt.

Kleine Kinder sind im Sein, können den Seinszustand jedoch noch nicht wahrnehmen, da der Wahrnehmungsapparat noch nicht genug ausgebildet oder ausdifferenziert ist.

Kleine Kinder reflektieren noch nicht, können  also die Wahrnehmungsergebnisse noch nicht auf sich beziehen.

 

Daher brauchen sie die Wahrnehmung ihrer Seinszustände und die Zuschreibung dieser Zustände von anderen, normalerweise von den Eltern oder anderen Bezugspersonen. Diese Zuschreibung erfolgt jedoch kaum oder gar nicht. Denn die frühen Bezugspersonen können das Kind nicht so wahrnehmen wie es ist, sondern nur so, wie es nach ihren Wünschen, Bedürfnissen und Werten sein soll. Als Folge dieses Anspruches bildet das Kind seine Person als Persönlichkeit (struktur) aus, indem es auf die Anforderungen reagiert und seine Seinsorientierung verlässt, später abspaltet und verdrängt.

 

 

Diese mangelhafte Spiegelung aus der Kindheit holen wir in dieser Übung als Spiegelung (als Zeugnis von) der wahrgenommenen Seinsaspekte der erwachsenden Persönlichkeit nach.

Dies erfordert zweierlei.

 

·         Als Wahrgenommene oder als Wahrgenommener zeigst Du Dich, so wie Du im Moment bist. Wenn Du mit Deiner Persönlichkeit identifiziert bist, also Dir bewusst wird, dass Du in einer Rolle oder in Deiner Persönlichkeitsstruktur bist, dann nimmst Du das wahr. Du fragst Dich dann – wie in einer Erkundung – wie Du denn so bist, wenn Du identifiziert bist. Das eröffnet die Möglichkeit, dass Du mehr davon zeigst, was Du als Person bist.

 

·         Als Wahrnehmende oder als Wahrnehmender (als Zeuge) löst Du Dich ebenfalls von Deinen Vorstellungen, wie die wahrzunehmende Person als Persönlichkeit zu sein hat. Du schaust sie an, als ob Du sie das erste Mal in Deinem Leben wahrnimmst – also ganz frisch, kein altes Wissen. Du bist offen für das, was Du siehst, hörst, spürst und in Dir fühlst. Und Du staunst wie ein kleines Kind darüber, was Du wahrnimmst.

·         Du nimmst das von der Person wahr, was Deine Aufmerksamkeit an sich zieht. Dies kann der Blick sein, die Haltung, die Ausstrahlung, was auch immer.

·         Wichtig für die Zeugenschaft ist, worauf Du achtest. Du achtest besonders auf Seinsaspekte, auf Seinsqualitäten, die bei der wahrgenommenen Person „durchscheinen“. Seinsaspekte spürst Du eher als dass Du sie mit den normalen Sinnen beobachten kannst.

·         Du achtest auf Seinsqualitäten wie Stärke, Liebe, Offenheit, Neugierde, Identität, Gelassenheit, Sein, Klarheit u.ä. Und Du lässt Dich auch auf die Wahrnehmung bisher nicht begrifflich fassbarer, also nicht benennbarer Qualitäten ein.

·         Du drückst das, was Du von der anderen Person wahrnimmst, zunächst durch Deine leibliche Reaktion aus. Wenn das nicht ausreicht, benennst Du das, was Du an der anderen Person wahrnimmst. Wenn Du schnell zu Beschreibungen kommst, dann kann es sein, dass Du altes Wissen benutzt. Seinsqualitäten sind nicht so leicht zu beschreiben.

·         Du bist der Spiegel für die andere Person. Du bist der Spiegel, damit sich die Person als Person und nicht als Persönlichkeitsstruktur oder in einer Rolle wahrnehmen kann.

 

Die Seinszeugenschaft ist ein gegenseitiger Prozess wechselseitigen Erkennens. Je nach Art des Kontaktes kann dieser nur durch leibliche Reaktion, durch den Blick oder durch unterstützende Fragen und Bemerkungen erfolgen.

Der Prozess kann sehr intensiv werden, lass ihn so weit es geht zu.

Und der Prozess verläuft in Zyklen. Immer wenn Du oder die wahrgenommene Person ins Denken, in die Erinnerung, in die Vorstellung kommt, wird sich der Kontakt verändern. Denn dann ist die Person nicht mehr in der Gegenwart und aus dem Hier und Jetzt raus. Es kann Dir dann so erscheinen, als ob sich eine Wolke vor die Sonne schiebt.

 

 

 

Vorgehensweise in Zweiergruppen:

 

Setzt Euch gegenüber und schaut Euch an.

Bestimmt, wer beginnt.

Etwa 15 Minuten für jede Seite.

 

Der Seinszeuge nimmt die wahrgenommene Persönlichkeit als Person wahr und drückt das, was er wahrnimmt in den verschiedenen Modi aus. Er kann die wahrgenommene Person auch auffordern, etwas zu sagen oder zu tun.

 

Die wahrgenommene Person hört nur zu. Kein Austausch, kein Gespräch, keine Diskussion, nur Erkenntnisfragen.

 

Nach der Spiegelung dankt die wahrgenommene Person dem Seinszeugen.

 

Danach wechseln.

 

Zum Schluss Austausch

 

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© Dr. Volker Buddrus