Dr. Volker Buddrus

 

 

Theoriespot: Seinszeugenschaft

 

 

Damit das Sein bei anderen wahrgenommen werden kann, ist eine besondere Weise der Achtsamkeit hilfreich.

 

Sich der Vorannahmen bewusst werden

Es ist wichtig, sich im Prozess der Wahrnehmung aller Vorannahmen, Einstellungen und Erfahrungen mit oder gegenüber der wahrzunehmenden Persönlichkeit bewusst zu werden.

 

Fragen: Was nehme ich an der Persönlichkeit wahr?

              Warum nehme ich dies wahr?

 

Person oder Persönlichkeit?

Denn solange ich die Person als Persönlichkeit wahrnehme, werde ich davon abgelenkt, sie als Person wahrzunehmen. Wie ich die Persönlichkeit sehe und woran ich sie erkenne hat ausschließlich etwas mit mir zu tun. Ich bin die Quelle meiner Wahrnehmungskategorien. Ob ich eine Person z.B. als hübsch oder hässlich einschätze, ist zwar durch kulturelle Wahrnehmungsgewohnheiten vorgeformt, ob und wie ich diese jedoch anwende, und dann noch auf die wahrgenommene Persönlichkeit anwende, ist meine Vorliebe oder meine Entscheidung.

 

Gebrauchtes, verbrauchtes und neues Wissen

Ich mache mir also ein Bild. Dieses Bild geht in meine Erfahrungen als Wissen ein. Trete ich erneut in Kontakt, so vertiefe ich das Bild und reichere es durch andere Situationen und Kontexte an. Das Wissen kommt jedoch aus der Vergangenheit. Es ist altes und gebrauchtes Wissen. Gewöhnlich orientiere ich mich an dem gebrauchten Wissen, es sei denn, etwas Außergewöhnliches passiert und ich muss mein inneres Bild von dieser Persönlichkeit verändern. Dann kommt zum gebrauchten Wissen neues Wissen hinzu. Je nach Stärke der Änderung wird das gebrauchte Wissen zum verbrauchten Wissen, ich orientiere mich in Zukunft an der Änderung. Oder das gebrauchte Wissen wird für einen Augenblick zum neuen Wissen, welches wiederum nach der nächsten Begegnung mit der Person wiederum zum gebrauchten Wissen wird.

 

Gewohnheiten als Beschränkungen erkennen

Wenn mir meine Wahrnehmungsgewohnheiten bewusst werden, dann können diese als Wahrnehmungsbeschränkungen eingeschätzt werden.

 

Ich kann mir also sagen: Interessant. …

Und mich entscheiden:  

nun nehme ich die Persönlichkeit neu und als Person wahr,

            frisch

            wie zum ersten Mal im Leben

            mit dem Wunsch nach neuem Wissen

 

Seinsaspekte der Person wahrnehmen

Die Zeugenschaft besteht zunächst im Da-Sein mit der Person. Ich bin unvoreingenommen, offen, interessiert und neugierig darauf, was sich zeigt. Dies ist einerseits mein Prozess. Andererseits befinde ich mich mit der Person in einem Feld von Wahrnehmung und Verständigung. Wir können es nicht vermeiden, miteinander zu kommunizieren, wie subtil auch immer. Meine Wahrnehmung hat also Einfluss auf das Sein des anderen.

 

 

Bewusstheit der Seinswahrnehmung

Die Rückmeldung erfolgt schon auf der Seinsebene. Ich bin schon mit der anderen Person. Ich spiegele die andere Person zurück. Doch dieses kann die andere Person nur dann und soweit wahrnehmen, wie sie selber im Sein ist und entsprechend der Ausbildung ihrer Bewusstseinsfähigkeit. Ein Beispiel: Von den 400 Mrd. Bits/sek, die wir über den Körper wahrnehmen, gelangen gewöhnlich nur 2000 Bits/sek ins Bewusstsein.

Nach meiner Landkarte führt die Persönlichkeitstruktur zu einer erheblichen Einschränkung der Bewusstseinsfähigkeit. Denn wir orientieren uns immer mehr an das Gewohnte und immer weniger ans Sein. Dies gilt beim Prozess der Seinszeugenschaft jedoch für beide Positionen. In der Analogie: Ein Blinder versucht einen anderen Blinden zu sehen.

 

Seinsspiegelung: Seinsaspekte verbal rückmelden

Für unsere Zwecke ist es wichtig, dass die Rückmeldung auch auf der Ebene der Persönlichkeit wahrgenommen wird. Dies zur Korrektur oder Ergänzung des Selbstbildes, der Weltsicht und zum Nachholen des „Geburtsrechts“ auf Seinsspiegelung.

Wenn ich Seinsaspekte wie Schönheit, Stille, Kraft, Zentrierung, Präsenz, Liebe usw. wahrnehme, fehlt mir oft das Vokabular um dies zu beschreiben. Das ist so. Also betrachte Deine Bemühungen als Annäherungen und sei achtsam und behutsam.

 

© Dr. Volker Buddrus