Dr. Volker Buddrus

 

Übung: Narzisstische Scham

 

Scham unterscheidet sich von Schuld dadurch, dass Schuld Dich in Verbindung bringt mit etwas, was Du getan hast, während Scham Dich in Verbindung bringt mit etwas, was Du bist.

Bei der normalen Scham schämst Du Dich über einen Aspekt von Dir, während Du andere Aspekte von Dir schätzt. Die narzisstische Scham tiefer. Du schämst Dich, weil Du bist.

Mit einer unantastbaren Identität kannst Du durch niemanden und durch nichts von Deinem Sein getrennt werden, weil Du mit Deinem Sein verbunden bist. Doch diese Identität erfährst Du bei narzisstischer Scham nicht, weil Du diesen Kontakt verloren hast.

 

Daher können Dich Bewertungen von anderen und durch Dich selbst in Deiner Identität erschüttern – und Du schämst Dich, weil Du nicht so bist, wie andere es von Dir erwarten. Diese Erwartungen nimmst Du dann in der Kindheit nach innen und machst sie zu Deinen eigenen. Mit der Zeit weißt Du gar nicht mehr, dass Du Deine Ansprüche, wie Du zu sein hast, von anderen übernahmst.

 

Das Ergebnis ist, das Du Dich im Innern leer fühlst. Und Du kannst nichts gegen die Bewertungen durch andere setzen, weil Du dort nichts fühlst, außer der Leere, dort nichts ist. Das schmerzt.

 

Selbstgefühle und Selbsteinschätzungen

Du fühlst Dich dann mangelhaft und unzureichend, wertlos und unwichtig, schwach und unterlegen, ein Versager, ein „Loser“, ein „Nichts“. Wenn Du mit einem aufgesetzten Selbstbewusstsein reagierst, dann fühlst Du Dich dennoch – tief innen – als Schwindler/in, als nicht real, so, als ob Du nicht genügend Substanz oder Wert hast.

Anderen gegenüber fühlst Du Dich dann oft als Lügner, Betrüger oder Vortäuscher. Oft schätzt Du Dein Leben so ein, dass es ein übler Scherz ist, eine Verschwendung.

Als Reaktion auf diese Einschätzungen schämst Du Dich zu sein, Du bist Dir selbst peinlich, Du versuchst Dich vor anderen (und auch vor Dir selbst) zu verstecken.

 

Die narzisstische Scham vereinigt das Gefühl der Unzulänglichkeit verbunden mit der Einschätzung, dass diese Unzulänglichkeit von anderen wahrgenommen werden kann, und der fortlaufenden Beurteilung Deiner selbst als unzureichend, als nicht genug.

 

Um diese narzisstische Scham erträglich zu machen, nutzt Du alle psychischen Verarbeitungsmechanismen wie Verdrängung, Grandiosität, Einsatz, Projektion usw. doch diese Mechanismen wirken nicht durchgängig. Sie werden durch emotionale Entführungen außer Kraft gesetzt, immer dann wenn Du merkst, wie Du Bewertungen und Einschätzungen von anderen und von Dir als Kränkungen verarbeitest. Wie sie Dich mit Deiner mangelhaften Leere in Dir verbinden oder Du die Sehnsucht nach dem Sein deutlich spürst.

 

Wann und wie schämst Du Dich über Dich selbst?

Schreibe Dein letztes Erlebnis nieder, wo Du Dich geschämt hast. Entscheide, ob dies „normale“ Scham ist, oder narzisstische Scham. Wenn es keine narzisstische Scham ist, dann suche ein zutreffenderes Ereignis.

Was ist geschehen, wer war beteiligt, was hat Dich dazu gebracht, mit narzisstischer Scham zu reagieren? Wie hast Du reagiert, welche Strategien zum Umgang mit Scham hast Du benutzt? Was findest Du noch heute als Auswirkungen?

 

An welche Situationen von früher erinnert Dich Dein Reaktionsmuster? Was war die erste Situation, an die Du Dich erinnern kannst, wo Du dieses Muster gebrauchtest? Schaue Dich liebevoll an und verstehe, wie Du durch Deine Reaktion versucht hast, Verbindung mit Deinem Sein aufzunehmen.

 

Wiederhole diese Erkundung für andere Themen mit narzisstischer Scham.

 

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© Dr. Volker Buddrus