Dr. Volker Buddrus

 

 

Was hindert mich im Sein zu sein? Eine Landkarte

 

 

Wenn der Seinszustand die Realität unseres Wesens ist, dann bedeutete jede Entfernung von diesem Zustand eine Dissoziation vom Sein, denn wir können nur im Sein sein oder anderswo. Diese Entfernung kann stark sein oder schwach, aufhebbar oder bleibend, vorübergehend oder andauernd.

Wir sind alle davon betroffen. Daher ist es wichtig, ein Gespür dafür zu erlangen, welcher Art die Behinderungen sind.

Manche Behinderungen können wir auflösen oder verringern und dadurch unsere Fähigkeit im Sein zu sein stärken. Ich ordne die Behinderungen nach dem Zeitpunkt des Auftretens und nach der Möglichkeit, sie zu verringern oder aufzulösen.

 

Übersicht

 

·         Die Persönlichkeitsstruktur

·         Psychologische Abwehrmechanismen

·         Körperliche Wunden und Verletzungen (Traumata)

·         Körperliche und seelische Krankheiten

·         Die Instinkte

·         Körperliche oder geistige Besonderheiten

·         Eine genetische Disposition

 

 

 

Die Persönlichkeitsstruktur

Es mag seltsam anmuten, dass die Behinderungen der Wahrnehmung des Seins durch die Persönlichkeitsstruktur an erste Stelle behandelt werden. Doch sie treten früh auf und sind am leichtesten abzubauen.

Die Persönlichkeitsstruktur als solche ist eine Behinderung. Vielleicht die umfassendste. In unserer kulturellen Normalität ist dies die Weise des Seins, sie wird für das Sein gehalten. „Ich bin so und so, das bin ich eben“. Und es ist das gleiche Bewusstsein, welches das Sein vergangenheitsorientiert durch die Erfahrungen und Prägungen der Persönlichkeit hindurch wahrnimmt. Doch das ist das Fahren auf der Autobahn mit alleiniger Sicht durch den Rückspiegel. Was Du wirklich bist, welche Möglichkeiten Dir offen stehen, ob Du so handeln musst, wie Du meinst zu müssen, oder ob Du überhaupt handeln musst, dies entscheidet sich erst im Sein.

 

Woran merkst Du, dass Du bei der Behinderung bist?

Du denkst, Du fühlst, Du planst, Du willst, Du musst, es treibt Dich, Du orientierst Dich an der Vergangenheit, an der Zukunft. Du bist nicht im Hier und Jetzt. Deine Wahrnehmung ist dual. Stets taucht auf „ich … Objekt“ oder „wir … Objekt“. Deine gesamte Normalität ist die Behinderung im Sein zu sein.

 

Was tun?

Einen Erkundungsprozess durchführen. Dich fragen, was Du „eigentlich“ willst. Wie es Dir „wirklich“ geht.

 

 

 

Psychologische Abwehrmechanismen

Es gibt mehrere psychologische Mechanismen, mit denen wir innerhalb der Persönlichkeitstruktur versuchen, etwas nicht wahrzunehmen, was wir fürchten, ablehnen oder wovon wir meinen, es nicht ertragen zu können. Bei unerträglichen Wahrnehmungen und Erinnerung werden die Abwehrmechanismen auch kombiniert. Und sie wirken weitgehend unbewusst.

Diese Mechanismen wehren die Wahrnehmung jedoch nicht ohne Grund ab. Sie sind nützliche Helfer und schützen die Persönlichkeitsstruktur.

Da sie jedoch die Wahrnehmung dessen, was ist - also das Sein - abwehren, wehren sie auch jeden Zugang zum Sein ab.

Da das Sein ein viel umfassender Zustand als die Persönlichkeit ist, brauchen wir im Sein die Abwehrmechanismen nicht mehr. Doch das wissen wir nicht, solange wir mit dem Zustand der Persönlichkeit identifiziert sind.. Daher müssen wir uns im Erkundungsprozess und auch sonst mit den Abwehrmechanismen beschäftigen.

 

 

Abwehrmechanismus: Verdrängen

das Aussperren einer  Angst machenden Vorstellung und des damit verbundenen Gefühls aus dem Bewusstsein, ggf. auch aus der Erinnerung

 

Beispiel

Du denkst nicht mehr daran, dass Du diese … Kompetenz für Dein Problem einsetzen könntest. Du vergisst …

 

Was tun?

Nach dem Gefühl suchen und die Botschaft aus dem Gefühl nutzen.

 

 

Abwehrmechanismus: Isolieren

Angemessene Gefühle von den zugehörigen Ideen und Gedanken isolieren.

 

Beispiel

Du nimmst irgendwie neutral wahr, wie es Dir schlecht geht.

 

Was tun?

Bei mangelhaft ausgeprägten Gefühl für eine bedrohliche Botschaft nach dem Gefühl „fragen“

 

 

Abwehrmechanismus: Reaktionen bilden

Der Ersatz eines unerwünschten Impulses durch eine extrem entgegengesetzte Verhaltensweise

 

Beispiel

Du sagst „ist nicht so schlimm“, während Du eigentlich „Scheiße“ sagen müsstest.

 

Was tun?

Ausdrücken dessen, was ist.

 

 

Abwehrmechanismus: Verschieben

Es besteht ein unakzeptabler Wunsch mit zugehörigem Objekt. Der Wunsch wird an einem weniger gefährlichen Objekt erfüllt.

 

Beispiel

Du lenkst Deine Wut auf die Eltern auf Dich.

 

Was tun?

Frage Dich, was Du wirklich willst.

 

 

Abwehrmechanismus: Projizieren

Eigene gefürchtete oder nicht anerkannte Eigenschaften anderen zuschreiben.

 

Beispiel

Du siehst das Versagen bei anderen.

 

Was tun?

Starke Gefühlsreaktionen auf Projektionen hin untersuchen. Projektionen anerkennen und zurücknehmen.

 

 

Abwehrmechanismus: Verleugnen

Etwas Angst machendes nicht wahrnehmen.

 

Beispiel

Ich breche mein Wort nicht.

 

Was tun?

Die Angst wahrnehmen und die Botschaft aus der Angst nutzen. Hier: Ich habe Angst, wortbrüchig zu werden und meine Selbstachtung zu verlieren.

 

 

Abwehrmechanismus: Rationalisieren

Beschwichtigen der nicht anerkannten Motive durch scheinbar rationale Begründungen.

 

Beispiel

Ich hatte zuviel zu tun, um die Übungen durchzuführen.

 

Was tun?

Motive anerkennen – und in den Konflikt gehen.

 

 

Abwehrmechanismus: Charakterpanzer

Haltungen und Charakterzüge werden durch Muskelversteifung im Körper konserviert.

 

Beispiel

Ich stehe immer unter Spannung oder ich bin total verspannt.

 

Was tun?

Verfestigungen wahrnehmen, Haltungen erkunden, Werte ändern.

 

 

Abwehrmechanismus: Körperliche Empfindungen

Psychologische Abwehrmechanismen können auch als körperliche Empfindungen auftreten. Diese treten dann in unmittelbaren Zusammenhang mit psychischen Prozessen auf und sind nicht vorher vorhanden. In diesem Fall ist aber abzuklären, ob es nicht körperliche Ursachen dafür gibt. Wenn diese möglich sind, dann ist die körperliche Ursache maßgebend.

 

Beispiel

Plötzliche Kopfschmerzen, unklar werden (psychologischer Nebel), plötzlicher Druck im Kopf oder woanders, plötzlich auftretende Schmerzen oder andere Körpersymptome wie jucken o.ä.

 

Was tun?

Empfindungen wahrnehmen und mit der Aufmerksamkeit bei ihnen bleiben bis sie sich verändern.

 

 

 

Körperliche Wunden und Verletzungen (Traumata)

Wunden und Verletzungen tun weh. Der gegenwärtige Schmerz zieht Bewusstheit und Aufmerksamkeit auf sich. Vielleicht sorge ich mich auch um mich. Dies kann, muss jedoch nicht den Zugang zum Sein behindern. Ich kann auch im Sein sein und liebevoll wahrnehmen, dass da Schmerz ist.

Bei Traumata sind Verletzungen im Nervensystem des Körpers gespeichert. Diese können die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und zu körperlichen (z.B. Schmerzen) und psychischen Auswirkungen führen (z.B. Angst)

 

Beispiel

Meine arthritischen Gelenke schmerzen.

Meine Traumata vom Bombenangriff während des Krieges.

 

Was tun?

Entweder anerkennen, dass Freiheit das Zulassen dessen, was ist, bedeutet. Oder Schmerzmittel nehmen, um mehr Bewusstheit auf den Prozess der Selbstverwirklichung lenken zu können.

Die Traumata wieder erleben und in ihrer symbolischen Sprache verstehen lernen.

 

 

Körperliche und seelische Krankheiten

Körperliche Krankheiten erfordern Aufmerksamkeit, verändern das Selbstbild, das Körperbild und die Schärfe und Ausrichtung der Wahrnehmung.

Seelische Krankheiten beeinflussen darüber hinaus die Stetigkeit der Aufmerksamkeit und die Motivation zur Selbstverwirklichung.

 

Beispiel

Herzkrankheit, Diabetes, Süchte.

Depression, Phobien, Zwänge.

 

Was tun?

Sich der Auswirkungen bewusst werden und in die Arbeit mit einbeziehen. Die Persönlichkeitsstruktur selber kann schon als Sucht wahrgenommen werden.

Auf die seelischen Krankheiten Rücksicht nehmen, sie als Weggefährten willkommen heißen.

 

 

 

 

Die Instinkte

Wir verfügen über ein reichhaltiges Wirkungsspektrum von Instinkten, die viele unserer Handlungen bestimmen. Viele Instinkte wie Flucht, Kampf oder Erstarrungsreaktion sind unwillkürlich. Wir reagieren so, ob wir das wollen oder nicht und müssen dann mit der Persönlichkeit mit den Folgen umgehen. Bei anderen Instinkten fühlen wir starke Bedürfnisse, wie etwa nach Sex oder haben Hunger und Durst. Wenn die Instinkte wirksam sind, beeinflussen sie unseren Zugang ins Sein.

 

Beispiel

Sex richtet die Aufmerksamkeit auf die Befriedigung des Bedürfnisses.

 

Was tun?

Ich habe die Wahl, dem Bedürfnis zu folgen und nicht im Sein zu sein oder das Bedürfnis zu verschieben. Manchmal kann das Bedürfnis auch im Sein aufsteigen. Dann werde ich das Bedürfnis in einer der Persönlichkeit ungeahnten Weise und Intensität befriedigen, z.B. Geschlechtsverkehr aus der Seinsqualität der Liebe heraus.

 

 

 

 

Körperliche oder geistige Besonderheiten

Körperliche und/oder geistige Besonderheiten (früher Behinderungen genannt) beeinflussen über Selbst- und Körperbild den Zugang zum Sein. Hinzu kommen hier noch die Prozesse sozialer Abgrenzung, die im einfachsten Fall Kraft und Motivation rauben können.

 

Beispiel

Kinderlähmung, MS, LAS.

Geistige Beeinträchtigung.

 

Was tun?

Die Besonderheit einbeziehen.

Die Einschränkungen akzeptieren und die Stärken der Besonderheit einbeziehen.

 

 

 

Eine genetische Disposition

Da auf immer mehr Gebieten genetische Dispositionen entdeckt werden, können vielleicht auch die Auswirkungen des Sozialisationsprozesses und unserer kulturellen Besonderheit genetisch kodiert werden. Für die narzisstische Persönlichkeitsstörung etwa wird eine genetische Disposition vermutet. Da ich nichts Genaueres weiß, ist die genetische Disposition zur Verhinderung des Seins bisher nur eine Vermutung.

 

 Zurück zur Übersicht

© Dr. Volker Buddrus